„Sie wollten uns als menschliche Schutzschilde benutzen“

Im April 2017 wurden Sarah und ihr Vater bei einer Explosion in Mossul verletzt, nachdem sie von Kämpfern gefangen genommen und als menschliche Schutzschilde benutzt worden waren. Sarah erlitt eine Fraktur und erholt sich nun im Krankenhaus von Hamdanyiah. Ein Physiotherapeut von Handicap International besucht sie regelmäßig und hilft ihr dabei, wieder zu Kräften zu kommen.

Sarah in ihrem Zimmer im Krankenhaus von Hamdaniyah. | © E. Fourt / Handicap International

Die elfjährige Sarah liegt schlummernd und ausgestreckt in ihrem Krankenhausbett. Die Ärzte kommen, um ihr Medikamente gegen die Schmerzen in ihrem Bein zu geben. Ihr Vater sitzt auf einem Stuhl neben ihr, hält ihre Hand und verliert sich dabei in Gedanken. Erst als der Physiotherapeut von Handicap International, Salam, an die Zimmertür klopft, hebt der Vater wieder seinen Kopf. Langsam öffnet seine Tochter die müden Augen. Salam besucht das Mädchen fast jeden Tag, seit sie sich im April zum ersten Mal im Krankenhaus getroffen haben. Er überprüft die Verbände an Sarahs Bein und beginnt mit einer weiteren Physiotherapiestunde. Auch wenn das junge Mädchen – beinahe schon ein Teenager – bei jeder Bewegung die Stirn runzelt, meistert sie all ihre Übungen. Ihr Vater, noch immer stark von ihrem Unfall erschüttert, steht ihr geduldig bei.

Während Salam seine Übungen mit Sarah fortführt, erzählt der Vater, was passiert ist:
„Es war am 20. April dieses Jahres. Einige Kämpfer nahmen uns gefangen, um uns als menschliche Schutzschilde zu benutzen. Wir wurden in einen Raum in einem verlassen wirkenden Haus gebracht. Auf einmal war da eine große Explosion. Ich habe keine Ahnung, ob sie von einem Panzer oder einem Flugzeug kam."

Alles, woran ich mich erinnere, sind die Schmerzen und das viele Blut. Mein Auge wurde verletzt, und Sarah wurde schwer am Bein getroffen.“

Sarah und ihr Vater wurden zunächst ins Allgemeinkrankenhaus von Mossul gebracht, wo das Mädchen operiert wurde. „Doch bei der erstbesten Gelegenheit flohen wir aus der Stadt“, sagt er. „Wir waren in drei verschiedenen Krankenhäusern, bevor wir hierher kamen.“ Der frühere Englischlehrer scheint überwältigt von den Ereignissen, die sein Leben in den letzten Wochen und Jahren bestimmten. Sein altes Leben und die Erinnerung an die Schule, in der er einst als Lehrer arbeitete, sind für ihn immer noch ganz präsent. „Es gibt keine Worte, mit denen man die letzten Jahre in Mossul beschreiben könnte. Doch was für mich am schwersten zu ertragen ist, sind die Auswirkungen des Krieges auf das Leben der Kinder, auf das meiner Tochter. Kaum eines der Kinder war seit 2014 überhaupt in der Schule. Und wenn sie gingen, dann wurden sie massiv ideologisch beeinflusst. Ich wollte nicht, dass Sarah das durchmachen muss, daher unterrichtete ich sie zuhause. Sie ist wirklich klug und liebt es, zu zeichnen und zu lernen.“

Dann erzählt Sarahs Vater von den Problemen im Alltag in Mossul und wie schwer es war, das Haus nicht verlassen zu können.

„Wir haben uns fast nie aus dem Haus gewagt. Wir waren wie Gefangene. Ich habe nicht mehr unterrichtet. Stellt euch vor, wie es ist, zwei Jahre lang kein Geld zu verdienen. Das Leben war wirklich hart. Aber ich habe mir immer gesagt: Das wird nicht ewig so weitergehen. Nur so haben wir es geschafft, so lange durchzuhalten.“

Mittlerweile sind Sarahs Reha-Übungen für diesen Tag fast beendet. „Wir werden nach Mossul zurückgehen, sobald meine Tochter wieder vollständig genesen ist“, fügt der Vater noch hinzu. „Wir haben unser ganzes Leben zurückgelassen, nicht nur unser Haus. Ich will wieder unterrichten, wenn die Schulen wieder öffnen. Das ist mir sehr wichtig – für mich und für die Zukunft der Kinder. Ich will alles Erdenkliche dafür tun, dass das, was uns passiert ist, nie wieder passieren wird.“

 

Sarah während ihrer Physiotherapie-Stunde mit Salam. © T. Mayer / Handicap International

 

Die Notlage in Mossul:
Die Kämpfe zwischen bewaffneten Gruppen und den Regierungstruppen im Irak haben in den letzten Jahren die Vertreibung von mehr als drei Millionen Menschen verursacht. Schätzungen zufolge benötigen bereits elf Millionen Menschen im Irak humanitäre Hilfe. Durch die Offensive von Mossul sehen sich die internationalen Organisationen mit einer nie da gewesenen Herausforderung konfrontiert. Über 500.000 Menschen sind seit Oktober letzten Jahres vor den Kämpfen geflohen.

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